Klangkunst - Heinz Weber

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Hamburg am Wasser - ich höre Brücken

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Ausschnitt aus den Tagebuchnotizen während der Tonaufnahmen

6.7.1995

Erster Tag der Außenaufnahmen - Beginnen an der Quelle der Wandse.

Siek bei Ahrensburg:

Ich muß bis an den Rand eines Industriegebietes. Dahinter ein Tümpel mit Enten und Schwänen. Die Schwäne sagen nix, aber ein paar 100 Meter Luftlinie entfernt verläuft die A 1 Hamburg-Lübeck, Permanentgeräusch, einzelne Laster variieren.

Die Quelle der Wandse liegt offensichtlich unter einer Einflugschneise des Flughafens Fuhlsbüttel.

Es ist Sommer, neben Verkehr und Vögeln das Rauschen von Bäumen und Getreidefeldern.

Tunneltal:

Lustige Rindviecher: Zottelfrisur bis über die Augen und ein Gehörn wie ein Wikingerhelm - ganz knuffig, und sie rascheln und tappen auch ein bißchen fürs Mikrofon.

Naturschutzgebiet, flankiert von der Bahnlinie Hamburg-Lübeck - von der Wandse ist zum ersten Mal ein leichtes Dröppeln zu hören. Dann ist der Akku alle.

 

7.7.1995

Zusammenfluß der Wandse mit der Berner Au:

Das ist so wie "Deutsches Eck" im Kleinen. Ich bin richtig ein bißchen stolz auf "meine" kleine Wandse, wie sie jetzt ein Stück weit erwachsen wird. Es ist auch der schönste Platz des heutigen Tages, ich bin gerne hier. Zwischendurch kommen Radfahrer, Jogger und Leute, die ihre Köter zum Scheißen rausbringen.

 

12.7.1995

Wandsbeker Zollstraße, Holzmühlenstraße

In einer Baugrube wird eine amerikanische Fliegerbombe von 1943 gefunden. Großflächige Absperrung, ein Polizist drängt eine Gruppe Gewerbeschüler weiter aus der Gefahrenzone und teilt mir mit, wo sich die Pressesammelstelle befindet. Mein Aufnahmeeqiupment ist mein Presseausweis: ich kann ungehindert der Polizei-Lagebesprechung zuhören und später mit dem Pressepulk bis zur freigelegten Bombe gehen, wo der Sprengmeister eine Presseerklärung abgibt und für die Kameras posiert. Beim Weggehen gibts von ihm noch unterhaltend-philosophisches über das Christentum, und welchen Vorteil es hat, durch eine Bombe anstatt durch eine Splittergranate zu sterben.

 

13.7.1995

S-Bahn Friedrichsberg bis Schwanenwik:

Mütter mit Kinderwagen, größere Kinder planschen auf dem Spielplatzteich, auf dem Wasser Enten und Möwen, die sich füttern lassen und dabei ordentlich Geschrei machen. Hier ist die Stadt sehr beschaulich, entlang der Wandse als Permanent-Park ruhig mit regelmäßigen querverlaufenden Verkehrsgeräuschen über die Brücken - Wohngebiet, angereichert mit etwas Handwerk, Krankenhäuser, Altenheimen und der staatlichen Kunsthochschule - akustisch eher die Langeweile.

 

Endlich die Zielgerade ab dem Kuhmühlenteich: die Wandse fließt in die Alster! Hier rappelt wieder die U-Bahn drüber, am Anleger "Mundsburger Brücke" klatschen kurze Wellen und die Brücke "Schwanenwik" hat eine interessant klingende Fuge quer über die Fahrbahn.

 

8.8.1995

Hafen bis zur Kattwyk-Brücke (1)

Es ist leise im Hafen.

Seit ich in Hamburg wohne, hatte ich immer großen Respekt vor dem Hafen: im Hafen arbeiten, die Essenz des Malochens, hartes Klotzen, tonnenweise Bananen schleppen, Verkehrsdschungel und Gigantomanie, das Schiff als Mythos.

 

Wenn du dich dafür bezahlen lassen willst, den ganzen Tag lang die BILD-Zeitung zu lesen, werd Schleusenwärter; das bißchen Knöpfchendrücken zwischendurch stört kaum! Aber im Erkerhäuschen steht ein schönes altes Röhrenradio, aus dem lustig den NDR raussprudelt. Ich bin ja ne Abwechslung - der Mann dort nimmts gelassen hin und ist distanziert hilfreich: "da hinten kommt gleich noch einer..."

 

Next stop Köhlbrandbrücke - ich muß ziemlich lang auf einer trögen Industriestraße parallel zur Brücke radeln - links die Ölmühle - riesengroß und riecht schlecht - dann endlich hört die Straße auf und der letzte große Brückenpfeiler (der mit dem östlichen Pylon) - darunter zirpen Grillen, also Mikros ins Gras gelegt. Anschließend zum Pfeiler davor, dort oben hat die Brückenstraße querab eine Schnittstelle, von der aus die darüberfahrenden LKWs ein ganz typisches Geräusch nach unten schicken: "so klingt die Köhlbrandbrücke".

 

Mi, 28.8.1996 - ca 17.00 - 18.00 Uhr

Elbbrücken

Nach fast einem Jahr heute also wieder der erste Törn nur für die "Brücken".

 

Komm nie auf die Idee, nachmittags um vier zu einer Aufnahme zu den Elbbrücken zu starten, wenn Du auf der anderen Seite von Hamburg wohnst! Ich hätt es wissen müssen, aber ich mußte(!) heute auch wieder mit den Aufnahmen beginnen! Stau ab Ost-West-Straße - ich hab dabei die 6. Sinfonie von Schostakowitsch gehört, in der Fassung für Diesel und Orchester.

 

Links den Regenschirm, rechts die Umhängetasche mit dem Equipment festhalten - so kletter ich über Schottersteine die Böschung zum Fuß des Brückenpfeilers hinab - regenglitschig und mit total verdreckten Schuhen. Die erste Aufnahme direkt unter der Elbbrücke, über die die Fernzüge gehen, am Elbufer, Wellenrauschen und Regen, dann das mächtige Dröhnen von obendrüberfahrenden Zügen - Maschinengewalt verdrängt Natur(gewalt).

 

Mi. 4.9.1996, ca 17.00 - 19.30 Uhr

Winterhude

"In ewigem Kreislauf

zwischen Himmel und Erde

ist das Wasser die Quelle

lebendiger Kraft"

Eine Inschrift über einer Außentür am Planetarium. Nebenan die Jahn-Kampfbahn! Hier also wird die kleine Leichtathletik gemacht, die man im Großen dann in Atlanta zu sehen bekommt. Ein halbes Dutzend Elfjähriger übt Hochsprung: sie nehmen mutig Anlauf auf die Latte zu; und statt zu springen dürfen sie untendurchflitschen und sich dann auf der Matte kuscheln. Die reifere Jugend fläzt sich derweil noch auf den Sitzblöcken am Rand der Tartanbahn und sondert unkontrolliert Massen von Testosteron aus. Draußen treffen sich die mittelalten Sachbearbeiter und Handelsvertreter nach getanem Tagwerk in eklig kurzen roten Hosen zum gemeinsamen Joggen.

 

"85 Jahre St. Antonius" - in jedem Fenster ein Buchstabe! Erst später als ich auf der Parallelstraße zurückgehe, sehe ich, daß an der Rückseite des Gebäudes eine Kirche dranklebt. Ja, da kann man richtig Mitleid kriegen mit den armen Katholiken in der Hamburger Diaspora - aber ein verrücktes Bild ist es allemal.

 

Die Bebelallee: ein schmaler Streifen Kurpark zwischen U-Bahn und Asphalt. Eigentlich merkwürdig, daß keine Hunde zum Kacken hier sind - oder ist es noch zu früh? Vorne dann wieder der Winterhuder Marktplatz, die "Kommödie" - Kultur-High-Tech für Harald Juhnke!

 

Den Anleger "Winterhuder Fährhaus" hatte ich gestern schon als Hör- und Aufnahmeort entdeckt: am frühen Abnd passieren hier Unmengen von Ruderern und Kanuten vom "Einer" bis "Achter mit Steuermann". Jetzt fangen auch noch die Glocken der "wie heißt sie noch Kirche" an zu läuten, die an der Kurve, die aussieht wie ne dicke Hummel. Ich pack dann doch nochmal die Mikrofone aus und hoffe auf ein paar wenige Minuten Saft aus dem abgenudelten Akku. Der tut mir den Gefallen und zeichnet mit und ohne Glocken noch reichlich Ruderschläge freizeitwütiger Hanseaten auf.

 

So. 15.9.1996

Hagenbecks Tierpark

Sonntag nachmittag in "Hagenbeks Tierpark". Von meinem letzten Besuch vor etlichen Jahren erinnerte ich mich noch an diese knallrote "japanische" Holzbrücke und "Tierpark": verspricht das nicht Brüllen, Fauchen, Kreischen, Schnattern, Quieken, Trompeten, kurz, die ganze exotische Klangwelt jenseits unseres maschinendumpfen Alltags?

 

Aber abgesehen von den Flamingos gleich zu Beginn kann so ein Tierpark unbeschreiblich stumm sein. Stumm heißt aber nicht leise, es gibt ja noch genug Besucher, Kinder mit lautem Staunen und noch lauterem Einfordern von Popcorn und Pommes, genervte Eltern und Großeltern, die beim Anblick des Elefantenbabys so verzückt kichern als wärs die eigene Enkelbrut.

 

Die großen Elefanten aber trompeten nur einmal, und genau wie zuvor bei den kleinen quiekenden Halbaffen und später den heulenden Rieseneseln komm ich zu spät und die Biester schweigen nur noch das Mikrofon an. So bleibt als Ergebnis meines Zoobesuchs eine interessante Studie über die unterschiedlichen Klangbilder, erzeugt von Zoobesuchern beim Anblick verschiedener Tierarten.

 

So, 22.9.1996

Hetlinger Schanze

Die Elbe ist hier eine ganz andere als in der Stadt, im Hafengebiet oder auch noch weiter draußen in Blankenese. Hier gibts einen echten Deich, hier gibts Schafe, weit und breit nur Wasser, Wiesen, Äcker und einen Wind, bei dem man doch besser die dickere Jacke von zuhause mitgenommen hätte.

 

Der Wind ist heute dafür auch optimal für sportive "Drachensteigenlasser" Die "kytes" sind die mit den zwei Schnüren, die immer so loopings und hin & her machen können und wenn man nicht aufpasst, dann rammen sich diese Techno-Falken auch schon mal mit einem schmatzenden Plopp in den Deichgrund.

 

Eine Aufnahme von einem dieser typischen Deichgatter mit der schrägen Achsaufhängung, damit das Gatter von alleine wieder zufällt und eben so kompliziert aussieht, daß die blöden Schafe nicht draufkommen, wie das funktioniert.

 

Den vergitterten Schacht oben auf der Deichkrone, der runter führt zu dem Kanal unterm Deich, habe ich schon im Frühjahr entdeckt und gehört (und für eine Aufnahme vorgemerkt). Damals habe ich wohl aber den Gestank nicht registriert, den Modergeruch aus dem Kanal, der bis nach oben dringt. Das soll mein letzter O-Ton in dem "Brücken-Stück" sein - ein verhalltes Weggehen, Wasserrauschen, ein akustisches Ende. Zu riechen ist dabei zum Glück ja nix.